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Steaks und Autos

  • Autorenbild: Birgit Wegerich-Bauer
    Birgit Wegerich-Bauer
  • 7. Aug.
  • 7 Min. Lesezeit

Geht unsere Ablehnung nachhaltigen Lebens auf archaische patriarchale Urbilder zurück?


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Die Verbindung zwischen einem saftigen Steak und einem PS-starken Auto mag auf den ersten Blick trivial erscheinen – doch beide Symbole werfen eine fundamentale Frage auf: Geht unsere gesellschaftliche Ablehnung von nachhaltigem Wirtschaften und Leben auf archaische patriarchale Urbilder zurück?


Als Kunstgeschichtlerin, Kunstlehrerin und Webdesignerin beschäftige ich mich seit Jahrzehnten mit der Macht von Bildern und deren Message – dem, was wir heute eher im Fachbereich Marketing verankern würden. Dabei wird deutlich: Bilder transportieren weit mehr als nur Informationen; sie aktivieren tief verwurzelte psychische Strukturen und lenken unser Handeln auf unbewusster Ebene. Steaks und Autos stehen exemplarisch für ein System jahrtausendealter visueller Codes und Machtstrukturen, das sich hartnäckig in patriachialen modernen Konsummustern, politischen Entscheidungen und alltäglichen Verhaltensweisen manifestiert.


Das Verstehen dieser visuellen Zusammenhänge ist essentiell, um zu begreifen, warum unsere Gesellschaft trotz rationaler Erkenntnis weiterhin nachhaltige Alternativen systematisch ablehnt – gesteuert von männlich domminierten Urbildern, die aus der Steinzeit stammen, aber auch noch heute unsere Zukunft bestimmen.



Die Symbolik von Fleisch und Maschine

Das Steak verkörpert mehr als nur Nahrung – es ist Symbol für Dominanz über die Elemente, für körperliche Stärke und traditionelle Männlichkeit. Besonders beim Grillen werden archaische Bilder der Feuerbeherrschung wachgerufen: Der Mann als Hüter der Flammen, als derjenige, der das Element Feuer kontrolliert und damit das rohe Fleisch in eine Mahlzeit verwandelt. Diese uralte Symbolik des Feuermachens und Fleischröstens, die bis in die Steinzeit zurückreicht, manifestiert sich noch heute am Gartengrill, wo oft rituell die Geschlechterrollen zelebriert werden. Der Fleischkonsum wird kulturell mit Macht und Status verknüpft, während pflanzliche Ernährung oft als "weiblich" oder "schwach" konnotiert wird. Diese Zuschreibungen spiegeln sich deutlich in realen Verhaltensmustern wider: Die deutliche Mehrheit der vegetarisch lebenden Menschen in Deutschland sind Frauen¹, während sich deutlich mehr Männer als Fleischesser identifizieren. Diese Präferenz wird jedoch gesellschaftlich oft abgewertet oder als weniger bedeutsam eingestuft.


Ähnlich verhält es sich mit dem Auto, insbesondere mit großen, lauten und schnellen Fahrzeugen. Die Sprache selbst verrät die archaischen Wurzeln dieser Symbolik: Nicht umsonst sprechen wir von "Pferdestärken" und dem "Bändigen" eines Motors. Das Auto wird unbewusst als mechanisches Ross inszeniert, das es zu bezwingen gilt – eine direkte Kontinuität zum jahrhundertealten Bild des Reiters, der sein kraftvolles, wildes Pferd bändigt und beherrscht. Diese Metaphorik des Bezwingens und Kontrollierens großer Kraft symbolisiert technische Kompetenz, Risikobereitschaft und die Eroberung des Raums – Eigenschaften, die traditionell als männlich codiert gelten. Ähnlich mächtig wirken die visuellen patriarchalen Codes, die das Auto aktiviert. Die Sprache verrät diese tiefen bildsprachlichen Verbindungen: "Pferdestärken", "Bändigen" eines Motors, die "Zähmung" der Maschine. In der Kunstgeschichte war das Reiterbild jahrhundertelang das zentrale Symbol politischer und militärischer Macht – von den antiken Reiterstatuen bis zu den Reiterbbildnissen absolutistischer Herrscher.


Das Auto als Metapher – eine direkte visuelle Kontinuität zu diesen jahrtausendealten patriarchalen Machtdarstellungen. Diese kunsthistorisch verankerten Urbilder stehen in fundamentalem Widerspruch zu nachhaltiger Mobilität, die auf Kooperation, Gemeinschaftsnutzung und ökologischem Gleichgewicht basiert. Die Statistiken zeigen das Resultat: Frauen nutzen deutlich häufiger öffentliche Verkehrsmittel und gehen öfter zu Fuß, während Männer signifikant häufiger das Auto als Hauptfortbewegungsmittel wählen².


Die Automobilwerbung nutzt diese archaischen Codes systematisch: Fahrzeuge werden in heroischen Posen vor majestätischen Landschaften inszeniert – eine visuelle Rhetorik, die direkt aus der Tradition der Herrscherdarstellung stammt. Nachhaltige Mobilitätsentscheidungen werden systematisch abgelehnt, weil sie diese, tief verwurzelten visuellen patriarchalen, Codes der individuellen Dominanz bedrohen.



Marketing als Verstärker patriarchaler Bildcodes

Aus meiner Erfahrung als Webdesignerin wird deutlich: Das moderne Marketing hat die kunsthistorischen Erkenntnisse über die Macht von Bildern systematisch kommerzialisiert. Patriarchale Urbilder erzeugen eine instinktive Ablehnung gegen nachhaltige Lebensweisen – und genau das nutzt die Werbeindustrie gezielt aus.


Während Frauen in beiden Bereichen – Ernährung und Mobilität – häufiger zukunftsweisende, nachhaltige Entscheidungen treffen, werden diese durch visuelle Strategien systematisch abgewertet und abgelehnt, weil sie nicht der kunsthistorisch verankerten patriarchalen Bildsprache von Macht, Dominanz und Kontrolle entsprechen.


Die Fleischwerbung arbeitet bewusst mit heroischen Bildkompositionen, die an Jagdszenen der Renaissance erinnern. Nachhaltiges Wirtschaften basiert auf Prinzipien der Kooperation und des Gleichgewichts – Werte, die den patriarchalen Bildtraditionen der Eroberung, Ausbeutung und Hierarchie fundamental widersprechen. Die vegetarische Ernährung wird visuell als "schwach" kodiert, weil sie nicht den kunsthistorisch etablierten patriarchalen Bildcodes des "Jägers und Eroberers" entspricht.


Das Verstehen dieser visuellen Zusammenhänge erklärt, warum rationale Argumente für Nachhaltigkeit systematisch scheitern: Sie konkurrieren nicht nur mit wirtschaftlichen Interessen, sondern mit einer jahrtausendealten patriarchalen Bildsprache, die in unserem kollektiven visuellen Gedächtnis eingebrannt ist und Nachhaltigkeit als existentielle Bedrohung der etablierten visuellen Machtordnung wahrnehmen. Solange wir diese tieferliegenden bildsprachlichen Ablehnungsmechanismen nicht durchschauen, bleiben alle Appelle für nachhaltiges Wirtschaften und Leben wirkungslos.



Unbewusste Einflüsse im Alltag

Diese symbolischen Aufladungen wirken subtil, aber mächtig in unserem Alltag. Sie beeinflussen nicht nur individuelle Konsumentscheidungen, sondern prägen auch gesellschaftliche Normen und Erwartungen. Die Automobilwerbung nutzt diese archaischen Bilder bewusst: Hier wird der Mann als moderner Reiter inszeniert, der sein "wildes Ross" aus Stahl und Motor beherrscht. Je mehr PS "unter der Haube", desto größer die symbolische Potenz des Fahrers. Parallel dazu inszeniert sich der "Grillmeister" als Beherrscher des Feuers, als derjenige, der die uralte Kunst des Fleischröstens über offener Flamme beherrscht – eine Performance männlicher Kompetenz, die tief in kollektiven Erinnerungen verwurzelt ist. Männer, die sich vegetarisch ernähren oder kleine, sparsame Autos fahren, müssen sich oft rechtfertigen oder werden in ihrer Männlichkeit in Frage gestellt – Studien zeigen, dass Männer Fleisch spontan positivere Attribute zuordnen als Frauen, was auf unbewusst verankerte Stereotype hinweist⁴.


Frauen hingegen werden in technischen Diskussionen über Autos häufig nicht ernst genommen oder müssen ihre Kompetenz besonders unter Beweis stellen. Die Verkehrsstatistiken belegen zudem eine problematische Realität: Männer sind überproportional häufiger Verursacher von schweren und tödlichen Unfällen im Verkehr, ebenso bei Alkoholdelikten, Raserei oder Falschparken⁵.

Gleichzeitig werden die umweltbewussteren Entscheidungen von Frauen – sei es bei der Ernährung oder der Verkehrsmittelwahl – oft als selbstverständlich hingenommen, ohne ihren gesellschaftlichen Wert anzuerkennen. Diese Mechanismen funktionieren größtenteils unbewusst und schaffen eine Hierarchie der Wertschätzung, die nachhaltige und sozialverträgliche Verhaltensweisen systematisch abwertet.



Wie archaische Bilder Politik und Zukunft bestimmen

Die gesellschaftlichen Konsequenzen zeigen, warum das Verstehen dieser Zusammenhänge so wichtig ist: Archaische Bilder lenken nach wie vor unsere kollektiven Prioritäten und verhindern rationale Zukunftsentscheidungen. Obwohl die statistisch häufiger von Frauen praktizierten Verhaltensweisen – vegetarische Ernährung und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel – ökologisch und sozial vorteilhafter sind, werden unsere Politik und Wirtschaft weiterhin von den jahrtausendealten Bildern gesteuert: dem Fleischkonsum mit seinen Ritualen der Feuerbeherrschung und PS-starken Fahrzeugen als moderne Aktivierung der Reiterkultur.


Das moderne Auto als "eisernes Pferd" und der Grill als domestizierte Feuerstelle reaktivieren die gleichen archaischen Bilder, die einst Krieger und Jäger antrieben. Diese Bilder sind so mächtig, dass sie rationale Argumente für Klimaschutz und Nachhaltigkeit systematisch überlagern und unsere Gesellschaft in destruktive Bahnen lenken.


Die Fleischindustrie profitiert von archaischen Bildern der Jagd und Eroberung, während die Automobilindustrie die uralten Reiterphantasien kommerzialisiert. Männer werden häufiger durch ihre Partnerinnen zu Fleischverzicht motiviert⁶, weil Frauen weniger den archaischen Bildern der "Eroberung" unterliegen. Gleichzeitig werden Investitionen in nachhaltigen Verkehr marginalisiert, obwohl weltweit die Mehrheit der ÖPNV-Nutzer Frauen sind⁷ – ihre Entscheidungen aktivieren nicht die machtvollen archaischen Bilder und werden daher politisch weniger ernst genommen.


Die Fleischindustrie trägt erheblich zum Klimawandel bei, während die Fixierung auf große, kraftstoffintensive Fahrzeuge die Verkehrswende erschwert. Männer werden häufiger durch ihre Partnerinnen zu Fleischverzicht motiviert als umgekehrt – ein Indiz für die unterschiedliche Prioritätensetzung bei Nachhaltigkeitsthemen⁶. Gleichzeitig werden Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr oft als weniger prestigeträchtig angesehen als Straßenbauprojekte, obwohl weltweit die Mehrheit der ÖPNV-Nutzer Frauen sind⁷.


Zusätzlich zeigen die Mobilitätsmuster deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Während Männer typischerweise lineare Wege von A nach B zurücklegen, haben Frauen aufgrund von Sorge- und Betreuungsarbeit komplexe und dynamische Mobilitätsmuster mit mehreren kürzeren Wegen und Zwischenstationen⁸.



Der Weg zur Überwindung der Anti-Nachhaltigkeits-Programmierung

Die Erkenntnis, dass unsere Ablehnung nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens auf patriarchalen Urbildern beruht, ist der erste Schritt zur grundlegenden gesellschaftlichen Transformation. Es geht nicht darum, Steaks oder Autos zu verteufeln, sondern die dahinterliegenden jahrtausendealten Anti-Nachhaltigkeits-Programmierungen zu durchbrechen und alternative Wertsysteme zu etablieren, die auf Kooperation, Gleichgewicht und langfristiger Verantwortung basieren.


Eine Gesellschaft, die sich von diesen patriarchalen Anti-Nachhaltigkeits-Urbildern befreit, würde die bereits existierenden, häufig von Frauen praktizierten nachhaltigen Alternativen nicht mehr als Bedrohung der etablierten Ordnung, sondern als Blaupause einer lebensfähigen Zukunft anerkennen. Die Zahlen zeigen deutlich: Ein erheblicher Anteil der Vegetarier und Veganer muss sich nach wie vor regelmäßig für ihre nachhaltige Ernährungsweise rechtfertigen⁹ – ein Beweis dafür, wie stark die patriarchalen Urbilder noch immer nachhaltige Lebensstile als Bedrohung wahrnehmen und sanktionieren.



Fazit: Die Notwendigkeit visueller Aufklärung

Steaks und Autos sind mehr als Konsumgüter – sie sind Manifestationen jahrtausendealter patriarchaler Bildcodes, die unsere kollektive Ablehnung nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens systematisch steuern. Aus kunsthistorischer Sicht wird deutlich: Die statistisch häufiger von Frauen gewählten nachhaltigen Alternativen – vegetarische Ernährung und öffentlicher Nahverkehr – werden systematisch abgewertet und abgelehnt, weil sie nicht den jahrhundertealten visuellen Machtcodes entsprechen.


Meine jahrzehntelange Beschäftigung mit der Macht von Bildern beantwortet die zentrale Frage eindeutig: Ja, unsere Ablehnung von Nachhaltigkeit geht auf archaische patriarchale Bildtraditionen zurück, die heute durch Marketing und Werbung systematisch kommerzialisiert und verstärkt werden.


Der Weg zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft erfordert deshalb mehr als technische Innovationen oder politische Reformen – er verlangt eine fundamentale visuelle Aufklärung: die bewusste Dekonstruktion der patriarchalen Bildcsprache, die seit Jahrtausenden nachhaltiges Denken und Handeln als Bedrohung der visuell verankerten Machtordnung bekämpfen.



Fußnoten

¹ Laut AWA 2022/Statista Global Consumer Survey sind 68,4% der vegetarisch lebenden Menschen in Deutschland weiblich; nur etwa 30% der Vegetarier sind männlich.

² EU-weite Eurobarometer-Befragung 2019: 20% der Frauen vs. 14% der Männer nutzen hauptsächlich öffentliche Verkehrsmittel; 20% der Frauen vs. 13% der Männer gehen hauptsächlich zu Fuß; Autos nutzen 48% der Frauen vs. 61% der Männer als Hauptverkehrsmittel.

³ 2021 besaßen 79% der Frauen vs. 84,6% der Männer einen Führerschein, jedoch sind nur 34,2% der privat zugelassenen PKWs auf Frauen zugelassen.

⁴ Australische Studie: Männer ordnen Fleisch spontan mehr positive Attribute wie "gesund" oder "lecker" zu als Frauen; bei längerer Reflexionszeit gleichen sich die Bewertungen an.

⁵ Statistisches Bundesamt: Bei Verkehrsdelikten im Zusammenhang mit Alkohol, Überholen oder Ladungssicherung dominieren männliche Verkehrsteilnehmer mit 86-98%.

⁶ 23% der Männer vs. 9% der Frauen geben an, durch Dritte (z.B. Partner) zu Fleischverzicht motiviert zu werden (AWA 2022).

⁷ Internationale Studien zeigen, dass weltweit über 60% der ÖPNV-Nutzer Frauen sind.

⁸ "Mobilität in Deutschland" (MiD) 2017: In einigen Altersklassen legen Frauen dreimal so viele Begleitwege zurück wie Männer und gehen doppelt so oft einkaufen.

⁹ 40% der Vegetarier und Veganer geben an, sich häufig bis gelegentlich für ihre Ernährung rechtfertigen zu müssen (verschiedene Studien 2020-2022).020-2022).e Ernährung rechtfertigen zu müssen (verschiedene Studien 2020-2022).

 
 
 
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