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AutorenbildBirgit Wegerich-Bauer

Deutungshoheit in Zeiten von DeepFake

Wie werden Fakten gedeutet, wenn schon die Richtigkeit der Information an sich angezweifelt werden muss?

Wer erkennt und beschreibt einen Sachverhalt? Wer interpretiert ein Ereignis? Und wer hat das Recht zur Interpretation?




Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichtsbücher

 

Orakel, Priester, Pharaonen, Kaiser, Könige, Kirchenoberhäupter .... Schauen wir zurück in die Geschichte: Jede Zeit hatte ihre spezifisch-definierten Wahrheiten. Schon immer gab es Eliten, Instanzen und einzelne Menschen, die die Macht für sich in Anspruch nahmen, den einen "richtigen" Sachverhalt festzulegen, entsprechend zu deuten und zu kontrollieren. Gleichzeitig hörte die Mehrheit der Menschen auf das, was diese Personen als richtig postulierten und über einen ausgewählten Personenkreis publik machten und verbreiten ließen.

 

In der Vergangenheit gab es nur selten Umbrüche, denn in der Regel wurde das Recht auf Deutungshoheit mit dem Amt weitergegeben bzw. vererbt.

 

Eine große Bedeutung spielte dabei der Beraterstab. Beamte, Wissenschaftler, religiöse Würdenträger, Philosophen - sie alle nahmen Einfluss. Je nach Oberhaupt, der seine persönlichen Berater wählte, änderten sich Weltanschauungen und mit ihnen die Gesetze. Weder das Oberhaupt noch die Berater, waren an größeren Veränderungen und Umbrüchen diesbezüglich interessiert.

 

Mit der Erfindung des Buchdrucks und dem Aufkommen der Wissenschaften in der Renaissance änderte sich dies jedoch maßgeblich. Neue wissenschaftliche Methoden der Beobachtung und Messung revolutionierten die Sicht auf die Welt, die durch den Buchdruck schnell und kostengünstig vervielfältigt und verbreitet werden konnte. Die kontrollierte Informationsverbreitung und Deutungshoheit einzelner Eliten geriet ins Wanken, denn der Buchdruck befähigte Buchdrucker und Verleger unabhängig vom Anspruch von Amts- und Würdenträgern Wissen und Informationen zu verbreiten. Gleichzeitig ermöglichte der Buchdruck es einem größeren Teil der Bevölkerung Zugang zu Bildung und Wissen zu erhalten und durch die Vielfältigkeit von verschiedenen Informationen und Nachrichten sich eine eigene Meinung zu bilden.

 

Dies trug dazu bei, dass neue Ideen und Gedanken sich in der Gesellschaft verbreiten konnten und somit die traditionellen Besitzer der Deutungshoheit herausgefordert wurden. Menschen schlossen sich mit neuen Ideen und Weltanschauungen zusammen und gründeten neue Organisationen. Anstelle von tradierten Eliten übernahmen nun wissenschaftliche Institutionen die Kontrolle über die wissenschaftliche Deutung von Beobachtungen und Messungen und politischen Institutionen und Ideologien beanspruchten die Kontrolle über die Interpretation von historischen Ereignissen und Entwicklungen. Die Deutungshoheit begann sich aufzuspalten und zu dezentralisieren.

 

Im 20. Jahrhundert wurden schließlich die Massenmedien zu einem wichtigen Faktor in der Deutungshoheit. Zeitungen, Radio und Fernsehen hatten die Macht durch freie Auswahl der Themensetzung die öffentliche Meinung zu beeinflussen und bestimmte Narrative und Interpretationen von Ereignissen zu puschen und andere zu vernachlässigen. Gleichzeitig sorgten diese neuen Technologien für die Beschleunigung der Verbreitung von Informationen und Ereignissen.

 

Parallel dazu versuchten Unternehmen und Organisationen gezielt Einfluss auf die machthabenden Eliten zu nehmen und wurden Berater der vom Volk gewählten Vertreter - Es ist der Beginn der Lobbyarbeit.

 

Auch die Macht der Werbung ist im Zusammenhang mit der Meinungsbildung nicht zu unterschätzen. Storytelling und Framing sind in diesem Zusammenhang Schlüsselwörter der letzten 20 Jahre geworden und manche Werbung hat ganze Generationen gesellschaftlich geprägt, wie z.B. "Geiz ist geil" der Mediamarkt-Kette.

 

Heute

 

In jüngster Zeit haben das Internet aber allem voran die sozialen Medien und online-Plattformen die Deutungshoheit maßgeblich verändert und die Dezentralisierung innerhalb der Informationsverbreitung weiter vorangetrieben. Jeder Social Medianutzer/Online-Plattformnutzer wird nun zum Meinungsmacher, Meinungsverbreiter bzw. Meinungsverstärker mit eigener Deutungshoheit und die von Logarithmen errechneten Kontaktvorschläge kreieren sich selbst verstärkende Meinungsbubbles.

 

Durch die Entwicklung künstlicher Intelligenzen in Zusammenhang mit bestehenden dezentralisierten Verteilungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke und online-Plattformen können spezielle Computerprogramme einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung von Gesellschaften ausüben. Bots zum Beispiel sind automatisierte Programme, die sich als menschliche Benutzer ausgeben. Sie werden u.a. dazu eingesetzt politische oder gesellschaftliche Botschaften quasi personalisiert zu verbreiten. Dadurch entsteht der Eindruck, dass bestimmte Meinungen oder Perspektiven in der Öffentlichkeit weit verbreitet sind, obwohl dies nicht der Fall ist. Die Deutungshoheit und Verbreitung von Informationen liegt nun beim Programmierer und seinem, meist unbekannten und unerwähntem Auftraggeber.

UND NUN DEEP-FAKE UND FAKE-INFORMATION

 

Manipulierte Nachrichten, manipulierte Berichte, manipulierte Zahlen, manipulierte Bilder, manipulierte Videos, manipulierte Sprachnachrichten überfluten nun die bestehenden digitalen Informationskanäle. Was ist richtig und was ist falsch? Welchen Informationen können wir trauen? Durch die Auflösung bestehender Deutungshoheitsinstitutionen und traditioneller Verbreitungswege von Nachrichten und Ereignissen mit überprüfbaren Quellenangaben entsteht ein starkes Verunsicherungsgefühl gepaart mit dem großen Bedürfnis nach Sicherheit und Zuverlässigkeit. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Kultur lösen sich gesicherte und von akzeptierten Eliten "abgesegneten" Informationen auf. Die Welt scheint zu wanken und wir mit ihr.

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